Wie werden Frauen sichtbarer, Tijen Onaran?

Madame Moneypenny meets Tijen Onaran. Sie ist Unternehmerin, Autorin, Speakerin, Moderatorin und hat Global Digital Women gegründet. Sie berät Unternehmen in Diversitätsfragen und vernetzt Frauen aus der Digitalbranche. Sie publiziert im Handelsblatt zu den Themen Digitalisierung, Unternehmertum und Diversität.

Außerdem sitzt sie im Faculty Board der Management School in St. Gallen zum Thema Digital Leadership. Die Zeitschrift Capital wählte sie zu Deutschlands Top 40 under 40. Sie veröffentlichte zwei Bücher: „Die Netzwerkbibel“ und „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“*.

Hier findest du das Gespräch mit Tijen als Video:

Und hier gibt‘s das Ganze als Podcast:

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Natascha: Lass uns zu Anfang über dich als Person sprechen. Wie du dahin gekommen bist, wo du heute bist. Dein Weg führt über die Politik. Dort warst du tätig. Für verschiedene Bundestagsabgeordnete und im Bundespräsidialamt. War das etwas, wo du schon immer hin wolltest oder wie hat sich das ergeben?

Tijen: Es ist nicht so, dass ich schon im Jugendalter extrem politische Ambitionen hatte oder aus einem politischen oder unternehmerischen Elternhaus komme. Mit 16/17 habe ich aber ein Interesse für politische Inhalte entwickelt und mit meinen Eltern politische Talkshows nachgestellt. Meine Eltern schlugen mir vor, einer Partei oder Jugendorganisation beizutreten. Ich bin dann bei den jungen Liberalen, der Jugendorganisation der FDP, eingestiegen und habe dort sehr viel gelernt, zum Beispiel über politische Zusammenhänge, aber auch übers Netzwerken, Argumentieren und Pitchen. In jungen Jahren hatte ich das Interesse, wirklich etwas zu verändern – deshalb bin ich in die Politik gegangen. Ich wurde ein bisschen eines anderen belehrt, denn Eitelkeiten und Befindlichkeiten spielen eine große Rolle innerhalb von Parteien. Aber wirklich was zu verändern, war ursprünglich meine Motivation.

Natascha: Ich werde manchmal auch gefragt, ob ich nicht in die Politik gehen will, um richtig was zu verändern. Da frage ich mich immer, ob man in der Politik richtig was verändert? Mir kommt das alles immer sehr langsam vor. Du kennst sowohl die Politik als auch die Wirtschaft: Was ist deiner Meinung nach der effizientere Weg, Veränderung anzustoßen? Politik oder Unternehmertum?

Tijen: Meiner Meinung nach braucht es praxisnahe Expert*innen in der Politik, deswegen wundert es mich nicht, dass dir diese Frage gestellt wird. Was mich in der Politik stört, sind zum einen die langwierigen Entscheidungsprozesse, aber auch, dass man das Gefühl hat, dass viele Politiker jahrzehntelang auf dem selben Posten bleiben und nie etwas anderes gemacht haben. Das finde ich sehr ungesund, übrigens auch für Menschen in der Wirtschaft: Ich würde immer raten, in Zeitabständen den Job mal zu wechseln für neuen Input und Motivation. Politiker sind auf Zeit gewählt und auf den Listen in den Wahlkreisen verändert sich recht wenig. Trotzdem habe ich aktuell das Gefühl, es verändert sich mehr. Es gibt mehr Menschen, die aus der Wirtschaft in die Politik gehen, zum Beispiel Ann Cathrin Riedel oder Laura Dornheim

Aber zurück zu deiner Frage: Was mich in der Politik immer gestört hat – neben den langwierigen Entscheidungsprozessen – sind die Befindlichkeiten und Eitelkeiten von Menschen, mit denen man zu tun hat. Die hast du in der Wirtschaft auch, gerade in großen Unternehmen. Trotzdem würde ich behaupten, dass die Spielregeln in der Wirtschaft mit der neuen Generation von jungen Talenten transparenter werden. In der Politik finde ich, verändert sich dagegen nur temporär was. Ich war in die Partei eingetreten, um wirklich was zu verändern, hatte dann aber irgendwann das Gefühl, nur mit innerparteilichen Kämpfen zu tun zu haben. Ich habe mich dann irgendwann gefragt „Warum“ und für mich entschieden rauszugehen.

Ich würde sagen, dass ich heute auch eine Form der Politik mache. Ich setze mich sehr stark für Diversity Inclusion Themen ein. Es gibt hier auch eine Art Lobby-Moment, da ich die Kraft, das Netzwerk und die Sichtbarkeit dieser Frauen zusammen nehme und all das was ich auf Veranstaltungen sehe und aus den Gesprächen mit diesen Frauen mitnehme, in meine Beratung und meine öffentlichen Artikel einfließen lassen kann.

Natascha: Das stimmt, eigentlich ist alles politisch: Das, was du machst und auch das, was ich mache. Vielleicht muss es nicht immer in einer Partei sein. Man kann Politik auch über Medien und Content betreiben. Kannst du uns erzählen, wie du selbstständig geworden bist?

Tijen: Nachdem ich die Politik verlassen habe, habe ich zuerst an einer privaten Hochschule die Kommunikation geleitet. Danach war ich im Verbandswesen auch in der Kommunikation tätig. Vor 3 Jahren habe ich mich gemeinsam mit meinem Mann selbstständig gemacht und Global Digital Women gegründet. Vor 6 Jahren hatte ich bereits den Stammtisch ins Leben gerufen. Ich wollte Frauen zusammenbringen und damit meinen Beitrag zu Diversity Inclusion leisten. Außerdem wollte ich demonstrieren: Diese Ausreden „Ich finde keine Frau für dieses Panel oder diesen Job“ oder “Es ist halt Tech-Bereich, da ist es schwierig Frauen zu finden” lasse ich nicht gelten. Schwierig bedeutet ja nicht, dass Unternehmen es deswegen ganz lassen sollten.

Die Idee zur Selbstständigkeit kam nicht von mir selber, sondern es hat mich eher gesucht. Als ich in meiner letzten Position war, haben Leute zu mir gesagt: Wenn du dich mal selbstständig machst und Kunden suchst, wären wir deine ersten Kunden.

Aus einem Momentum heraus habe ich dann meinen damaligen Job, mit dem ich sehr unzufrieden war, gekündigt. Als mir klar wurde, dass ich keinen Job mehr hatte, erinnerte ich mich an eben diese Personen und rief sie an. Sie wurden meine ersten PR-Kunden. Nebenbei gründete ich den Stammtisch, der vor 3 Jahren in meinem Unternehmen resultierte. Ich merkte, dass es nicht nur eine informelle Meet-Up Geschichte war, sondern auch wertvolle Insights für Unternehmen hatte.

Natascha: Deine Geschichte zeigt schön, dass man vielleicht nicht immer alles im Detail schon geplant haben muss, aber trotzdem weitergeht. Das Vertrauen in sich selber, dass sich irgendwas ergeben wird. Hut ab!

Tijen: Genau, das war das Unterbewusste in mir drin. Dieser Sprung aus der Emotion heraus gekündigt zu haben, ohne etwas Neues zu haben, hat mich Agilität gelehrt, dass ich mich wahnsinnig schnell auf Situationen einlassen kann. Das hilft mir auch als Unternehmerin. Es half mir auch, super schnell in Lösungen zu denken. Ich hatte dann zu Beginn 3 Kunden und habe mich völlig unter Wert verkauft.

Ich kann nur sagen: Ja, springen tut weh und das Wasser ist extrem kalt, aber du lernst zu schwimmen und du lernst, wer da ist. Stichwort: Netzwerk. So oder so wirst du etwas aus der Situation lernen.

Natascha: Das musste ich auch lernen: Man muss noch nicht wissen, was die nächste Option ist.

Tijen: Ich weiß noch, dass wir uns mal unterhalten haben und du mir erzählst hast, wie du die Dinge planst – ganz anders als ich. Das zeigt schön, dass es nicht den einen Weg weg, um seine Träume zu verwirklichen. Das Entscheidende ist, dass man Chancen ergreift. Ich habe nie darauf gewartet, dass jemand die Entscheidung der Option für mich trifft, sondern ich habe immer die Entscheidung getroffen. Denn: Wenn ich die Entscheidung treffe, bin ich auch dafür verantwortlich: Wenns schief läuft, kann ich auf mich sauer sein, aber wenns gut läuft, kann ich auf mich stolz sein.

Über Global Digital Women

Natascha: Welchen Weg man dann geht, ist fast zweitrangig. Am Anfang steht für mich immer eine gewisse Portion Mut, aus der aktuellen Situation auszubrechen und sich einzugestehen, dass man nicht glücklich ist. Und dann den Schritt aus der Komfortzone zu gehen. Vielleicht eine Kombination aus Plan und Vertrauen. Kommen wir aber nochmal auf deine Unternehmung: Was ist die Vision hinter Global Digital Women? Warum machst du das? Und warum ist das Thema so wichtig?

Tijen: Manchmal komme ich mir wie eine Schallplatte mit Sprung vor, weil ich immer wieder auf diese Themen hinweise. Und frage mich manchmal, ob ich den Leuten damit nicht auf den Keks gehe. Gleichzeitig erreiche ich mit meiner Nachricht immer wieder neue Personen. Und die Leute, die sich verändern müssen, bei denen ist es ja immer noch nicht angekommen. Durch diese Wiederholung kann ich dann auch ein Momentum setzen: Es muss sich wirklich etwas verändern. Mein Ziel mit Global Digital Women ist es, die Wirtschaft diverser zu machen. Mein Fokus liegt auf Gender, auch wenn Diversity natürlich nicht nur Gender ist. Ich habe damals mit dem Frauenstammtisch und einem Frauennetzwerk angefangen. Ich war schon immer ein großer Frauenfan und hatte immer tolle Mentorinnen und weibliche Vorbilder. Auf Digitalkonferenzen und Panels habe ich mich immer gefragt, warum ich die einzige Frau bin. Deswegen habe ich mich auf das Thema Frauen eingeschossen, weil da noch jede Menge zu tun ist. Mein großes Ziel ist es, die Wirtschaft diverser zu machen mit dem Fokus auf Geschlechtervielfalt. Wie macht man das?

1. Netzwerk

Bei Global Digital Women vernetzen wir Frauen mit Digitalexpertise. Gründerinnen, aber auch Frauen aus dem Mittelstand und Konzernen in Digitaljobs. Vor dieser Krise haben wir viele Events organisiert in 9 verschiedenen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz und wollten weltweit mehr expandieren, beispielsweise in Südafrika.

2. Sichtbarkeit

Der zweite Teil unserer Mission ist es, diese Frauen sichtbar zu machen. Über Social Media, über unsere eigenen Kanäle, beispielsweise mit Interviews oder Instagram Take-over. Aber auch als Sparringspartner für Veranstalter*innen, die sagen, sie finden keine Frau. Wir haben eine große Datenbank und machen Vorschläge. Wir haben auch den Digital Female Leader Award ins Leben gerufen.

3. Consulting

Unternehmen, die es nicht schaffen, Frauen zu rekrutieren oder auf die nächste Ebene zu befördern (Führung) oder die im IT/Tech-Bereich keine Frauen für die Positionen finden, bieten wir Consulting an. Diese Unternehmen haben nicht die Netzwerke und wissen nicht, wo sie diese Frauen finden können. Wir aber haben die Community und das Wissen. Was möchte diese Zielgruppe und was sind ihre Anforderungen? Da machen wir Consulting (Diversity Consulting, Unconscious Bias Workshops, Beratung auf HR -Level, Diversity Inclusion-Strategien, usw.).

Natascha: Das sind dann wahrscheinlich Unternehmen, die schon wissen, dass sie ein Problem haben und das auch angehen möchten, oder?

Tijen: Der Idealfall ist, dass Unternehmen proaktiv auf uns zugehen. Bei Unternehmen, die dieses Mindset noch nicht mitbringen, sind oft Frauen aus diesen Unternehmen auf unseren Veranstaltungen. Sie sagen dann oft, dass ihr Unternehmen dieses Consulting braucht und stellen den Kontakt zum Unternehmen her.

Ein schönes Beispiel ist ein Unternehmen, auf dessen Recruiting-Seite ein Ferrari abgebildet ist (kein Unternehmen der Automobilbranche). Da muss man sich fragen, wen das ansprechen soll? Das spricht meiner Meinung nach auch junge Männer nicht an. Ich glaube, es gibt eine neue Generation von Männern, die genauso auf Diversity Inclusion Wert legen wie Frauen.

Da kommen wir dann ins Spiel mit dem Wissen aus unserer Community, um zu zeigen, dass das nicht in Ordnung ist. Das ist harte Arbeit, da es Mindsetarbeit ist. Du musst es schaffen, dass Unternehmen verstehen, dass es nicht in Ordnung ist und dann die Veränderung antreiben. Bei dieser Arbeit hilft mir meine politische Expertise. Ich bin es gewohnt, mir zu überlegen, wie ich Menschen überzeuge.

Über unsere Stimme und wie wir sie nutzen

Natascha: Wenn das jemand liest und sich angesprochen fühlt, kann sie sich bei euch melden?

Tijen: Den Frauen, die das lesen, möchte ich sagen: Ihr seid es, die das in die Unternehmen reintragen und das ist großartig. Ich sage das ja auch immer und auch im Rahmen meines 2. Buches: „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“. Das bedeutet nicht nur, dass ich als Person stattfinde, sondern auch, dass über mich als Person Themen stattfinden. Nutzt die Stimme, die ihr habt. Wenn ihr Ungerechtigkeiten seht oder meint, dass Veränderungen stattfinden müssen, gibt es heute diverse Möglichkeiten, Veränderung auch individuell anzustoßen. Natürlich muss auch das Unternehmen dazu beitragen und den Rahmen setzen, aber es hilft auch, wenn einzelne Personen etwas anstoßen.

Beim Lieblingsbeispiel dafür ist Greta Thunberg. Sie hat als einzelne Person eine weltweite Bewegung angestoßen. Auch Madame Moneypenny ist ein Beispiel dafür, wie eine einzelne Person eine Bewegung anstößt.

Es zählt nicht zu sagen, meine einzelne Stimme ist nichts Wert. Jede und jeder von uns hat eine Stimme, die wir klingen lassen können – gerade heute durch die sozialen Medien.

Natascha: Absolut. Einmal, dass wir diese Stimme haben, aber dass wir die Verantwortung auch aktiv mittragen, anstatt dass System passiv zu unterstützen, in dem wir nichts sagen. Ich glaube auch, dass viele Unternehmen das nur so halb absichtlich machen. Vielleicht braucht es genau da diesen Input von außen.

Tijen: Ich habe mittlerweile fast das gegenteilige (Luxus-)Problem, dass, wenn ich ein Panel zusammenstelle, mir einfach keine Männer einfallen.

Über Diversität

Natascha: Das Problem kenne ich. Ich habe eine Stellenausschreibung und es bewerben sich nur Frauen.

Tijen: Ich glaube, der Unterschied ist, dass wir es am Ende trotzdem versuchen oder darauf achten, dass wir in anderen Bereichen dann Diversität leben. Das hat ganz viel mit Sozialisation zu tun. Mit welchen Werten bist du groß geworden. Was ist deine Haltung zu Diversity Inclusion? Inwieweit lasse ich mich auf dieses Thema ein und sehe es als businessrelevantes Thema. Studien zeigen, dass diverse Teams erfolgreicher und innovativer sind. Natürlich ist Diversity Inclusion für unsere Gesellschaft wichtig, es ist aber für die Wirtschaft genauso relevant. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Unternehmen, die sich nicht auf die Diversion Inclusion Reise begeben, nicht mehr zukunftsfähig sind. Viele Studien zeigen, dass junge Talente Unternehmen danach auswählen, wie divers, inklusiv und nachhaltig sie aufgestellt sind. Das sind fast schon neue Machtverhältnisse, die man nicht unterschätzen sollte. Diese Talente sind super ausgebildet und können sich viele Jobs aussuchen. Wenn ich gute Talente will, muss ich mich als Unternehmen dafür ins Zeug legen. Bei Diversity Inclusion geht es nicht darum, dass ich mit der Zeit gehe, sondern dass ich der Zeit voraus bin. In 5 Jahren werden Unternehmen vom Markt verschwinden, die nicht auf Diversity Inclusion gesetzt haben – das ist meine Prophezeiung.

Natascha: Da geht es auch darum, Deutschlands Wirtschaft zukunftsfähig zu machen. Wie ich in deiner Vorstellung schon gesagt habe, machst du viele verschiedene Sachen. Wie bekommst du das alles unter einen Hut?

Tijen: Ich habe ein Team von 13 Personen bei Global Digital Women, die sich um die operative Umsetzung wie Events, Social-Media-Kanäle oder Kooperationen mit den Partnern kümmern. Ich habe vorhin erzählt, dass ich mit meinem Mann gegründet habe. Er ist der Innenminister und ich bin die Außenministerin. Ich könnte nicht eine operative Geschäftsführungsrolle haben und gleichzeitig auf allen Hochzeiten dieser Welt tanzen. Im operativen Geschäft fokussiere ich mich auf meine Bereiche: Kooperationen mit Unternehmen, Workshops, die ich gebe oder Veranstaltungen, die ich moderiere. Alles Weitere macht das Team.

Das Zweite ist Fokus. Vor einigen Jahren habe ich noch mehr gemacht, viele Zusagen gegeben. Irgendwann habe ich für mich gemerkt, dass ich nicht überall sein kann. Das ist auch ein Thema der Positionierung. Deswegen ist heute alles rein auf meine Themen bezogen: Diversity Inclusion, Personal Branding, Sichtbarkeit, Positionierung und Netzwerk. Alles andere muss weichen, das kann ich nicht machen. Dieser Fokus hilft mir in den Sachen, die ich mache, sehr gut zu sein. Auch wenn es vielleicht nach außen viel wirkt, ist es für mich sehr kompakt, da ich vorher für mich schon aussortiert habe.

Drittens weiß ich, wofür ich das alles mache. Mein Ziel ist es, für mehr Diversity Inclusion in der Wirtschaft zu sorgen. Durch diese Motivation kann ich so viel machen und leisten. Ich habe einen Purpose. Dadurch habe ich mehr Ausdauer und bin leidensfähiger.

Natascha: Mir geht das ähnlich. Dieses in die Welt hinaus tragen. Wenn mal einmal so etwas gefunden hat, fühlt es sich auch nicht so krass wie Arbeit an.

Tijen: Ich wünsche jeder, dass sie so etwas findet. Zu wissen, warum mache ich das, was ich mache und wo will ich hin, was ist mein Ziel. Das hilft mir auch über schwierige Phasen hinweg den Fokus zu bewahren und mich selber wieder zu disziplinieren.

Über Tijens aktuelles Buch

Natascha: Lass uns über dein aktuelles Buch „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“ sprechen, das ein Spiegel-Bestseller ist.

Tijen: Ich habe gerade heute mein Exemplar mit dem Spiegel-Bestseller-Sticker bekommen. Mehr als um den Sticker geht es mir darum: Die harte Arbeit hat sich gelohnt. Dass ich es auf so eine Liste geschafft habe, ist ja auch ein Zeichen dafür, dass ich viele Menschen damit erreicht habe.

Natascha: Da sind wir dann wieder beim Thema Sichtbarkeit. Erzähl doch mal, was die Idee des Buches ist? Warum hast du es geschrieben? Was sind die 3 Ideen, die du mit diesem Buch in die Welt tragen möchtest?

Tijen:

1. Positionier dich, bevor es andere für dich tun

Ich bin ein großer Fan von ideeller Unabhängigkeit. Ich möchte selber Agendasetterin sein und ich möchte meine eigene Geschichte erzählen, bevor es andere tun. Das ist das Top 1 Statement, das ich mit dem Buch mitgeben möchte. Denn es wird ein Fremdbild, also ein Bild, das andere von dir haben geben und dafür musst du gar nicht mal wahnsinnig sichtbar sein. Dafür reicht schon ein profanes Profil auf Social Media und ein paar Mal im beruflichen Kontext ein paar Leuten begegnet zu sein, und die haben dann ein Bild von dir. Ich bin ein großer Fan davon, dieses Bild mitzusteuern. Zu überlegen: Was ist das, was Menschen in den Kopf kommt, wenn sie meinen Namen lesen. Welche Themen sollen da kommen?

2. Sichtbarkeit ermöglicht immer auch Teilhabe

Das bedeutet: Die Themen, die mich beschäftigen, mit in die Debatte einbringen.

Beispielsweise: Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass ganz viele Menschen über das Gesundheitswesen diskutieren. Dadurch sind auf Social Media ganze viele Pflege-Influencer*innen sichtbar geworden. Menschen, die in der Pflege arbeiten, haben plötzlich mitgesprochen, während vorher nur über sie gesprochen wurde. Jetzt sind sie Teil der Debatte. Das geht aber nur, weil sie ihre eigenen Kanäle haben und sichtbar sind. Das können natürlich auch kleinere Themen in Unternehmen sein, bei denen ich sage, ich präge die Debatte mit, weil ich weiß, ich habe die Expertise in diesem Feld.

3. Sichtbarkeit bringt auch immer Unabhängigkeit

Wenn ich Themen habe, für die ich stehe und die unabhängig meines Jobs sind, werden diese Themen jeden Job überdauern. Wenn ich morgen meinen Job verliere, wird das Thema trotzdem da sein. Wenn du dich zum Beispiel entscheiden würdest, irgendwann was anderes als Madame Moneypenny zu machen, würden dich die Menschen weiterhin mit Finanzen verbinden. Du hast diese Glaubwürdigkeit, weil du Expertin in diesem Bereich bist.

Genauso ist es mit Angestellten, die ihren Job verlieren. Wenn sie sich schon positioniert haben, haben sie es leichter anzuknüpfen. Es geht darum, schon vorzubauen für den Moment, wenn du darauf angewiesen bist, dass Menschen dich kennen und dich einordnen können in Bereiche, mit denen du dich identifizieren willst.

Mir wird oft die Frage gestellt, ob das Thema der Sichtbarkeit nur für Selbstständige relevant ist. Generell gilt: Sichtbarkeit ist für jeden von Relevanz. Für Gehaltsverhandlungen ist Sichtbarkeit essentiell. Es geht nicht um Inszenierung, sondern um Positionierung. In Deutschland tun wir uns mit Personal Branding sehr schwer. Aber ich bin doch mein eigenes Sprachrohr. Wenn ich nicht darüber spreche, was ich mache, wer dann?

Natascha: Das hat auch was mit dem eigenen Standing zu tun. Das kann man ja auch aufs Private übertragen. Ist das die Rolle, die ich sein will? Auch bei dem Beispiel Familiengründung, Mama bleibt zu Hause und arbeitet in Teilzeit, zack, das sind die Rollen. Aber das auch mal zu hinterfragen. Denn das Fremdbild gibt es und das dann so zu beeinflussen, dass es mich bestmöglich widerspiegelt und wie ich gesehen werden möchte. Das ist ein Gamechanger: Ich habe es in der Hand, wie andere Menschen mich sehen. Unterbewusst machen wir das ja eh schon z.B. durch Kleidung.

Tijen: Achte im privaten Bereich bei Geburtstagsfeiern (wenn es sie irgendwann wieder gibt), wo du nur den Gastgeber kennst, mal darauf, wie du vorgestellt wirst.

Über Sichtbarkeit

Natascha: Wie mache ich das mit der Sichtbarkeit jetzt konkret? Was sind die To-Dos für die nächsten 72 Stunden?

Tijen: Ich habe erstmal definiert: Wer sind im beruflichen Kontext die 3 Menschen, die wissen müssen, dass es mich gibt und was ich mache? Es ist nicht schlimm, wenn man das mit einer strategischen Brille sieht. Der zweite Schritt wäre dann zu sagen, wie erreiche ich diese Menschen? Per Email, durch ein Intro von jemandem, bei einem virtueller Coffee Talk oder auf Social Media? Welche Kanäle nutzen diese Leute? Wie kann ich auf mich aufmerksam machen? Social Media aktiv nutzen und in Aktion treten. Der letzte Punkt ist, selber thematische Punkte setzen. Worin bin ich richtig gut? Was kann ich geben? Und dann auch Thesen zu entwickeln. Es reicht beispielsweise nicht zu sagen: Ich setze mich für Digitalisierung ein. Wofür genau setze ich mich im Digitalisierungsbereich ein? Geht es um digitale Infrastruktur, die Tools oder das Mindset? Was ist meine persönliche Erfahrung? Deswegen auch Personal Branding.

Das alles ist viel Arbeit für die nächsten 72 Stunden, deswegen fangt am besten mal mit den 3 Menschen an.

Natascha: Wenn ihr jetzt denkt, ihr habt kein Number One Thema, dann ist das, weil ihr euch noch nicht damit beschäftigt habt. Fangt einfach mal an, darüber nachzudenken.

Tijen: Ich habe auch erst im Laufe der Zeit erst mein Thema entdeckt. Deswegen lasst euch die Zeit. Das Wichtigste ist, sich damit zu beschäftigen. Das kann eine einfache Übung sein, wie einfach mal ein Blatt Papier nehmen und aufzuschreiben: Was sind meine Talente und Fähigkeiten? Was kann ich richtig gut und worin bin ich eher schlecht?

Natascha: Du hast in deinem Buch geschrieben, dass du selbst früher oft in Schubladen gesteckt wurdest und deswegen das Verlangen hattest, das selbst mitzubestimmen. Welche Schubladen waren das und wie hast du es aus diesen Schubladen heraus geschafft?

Tijen: Ich hatte meinen Life-Changing Moment zum Thema Sichtbarkeit, als ich mit 20 selber kandidiert habe. Du musst dir dann Gedanken machen, wofür du stehst. Da ich damals vom Thema Positionierung noch nicht viel Ahnung hatte, wurde diese Entscheidung nicht von mir, sondern von einer Marketingagentur getroffen. Da ich eine Frau bin, schlugen sie mir vor, Familienthemen zu besetzen. Da meine Eltern aus der Türkei kommen, schlugen sie weiterhin vor, dass ich das Integrationsthema besetze. Das waren aber eigentlich gar nicht meine Themen. Ich habe sie aber trotzdem im Wahlkampf durchgezogen. Danach habe ich mir geschworen: Ich möchte nie wieder in die Situation kommen, dass jemand anderes meine Agenda bestimmt und die Entscheidung trifft, wofür ich stehe.

Ich möchte nie wieder in die Situation kommen, abhängig davon zu sein, dass jemand anderes meine Geschichte erzählt. Ich möchte meine Geschichte selber erzählen.

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